Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
04.05.2024

Örtliche Alten- und Pflegeplanung in NRW noch in vordigitaler Zeit

Abbildungen der Titelseiten Örtlicher Planungen nach dem APG NRWZusammenstellung ausgewählter Veröffentlichungen der Örtlichen Planung nach § 7 APG NRW

1 Anlass und Ziel einer Kurzrecherche

In fast allen Vorträgen und Veröffentlichungen zur Digitalen Teilhabe im Alter verweise ich auf eine Verpflichtung der Kommunen für die Gewährung von Unterstützungsangeboten bei den Schwierigkeiten, die ältere Menschen zunehmend mit der Digitalisierung vieler Dienstleistungen in ihrem Alltag haben. Als Begründung habe ich bisher stets auf die gesetzliche Altenhilfe nach § 71 SGB XII verwiesen und eine Erweiterung der Altenberichterstattung und -planung um die mit der Digitalisierung verbundenen Schwierigkeiten im Alter gefordert. Da die kommunale Altenhilfe nur eine Soll- und keine zwingende Aufgabe der Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge ist, haben viele Kommunen bisher keinen Altenplan und dann ist auch nicht mit einer Erweiterung um Angebote zur Förderung digitaler Teilhabe zu rechnen.

Auf der Frühjahrsakademie des Forum Seniorenarbeit NRW in Münster am 25. April 2024 wurde ich nach meinem Vortrag mit dieser Forderung darauf hingewiesen, dass in NRW die Kreise und Kreisfreien Städte gesetzlich verpflichtet sind, alle zwei Jahre eine örtliche Planung nach dem Alten- und Pflegegesetz NRW zu erstellen, die sich ausdrücklich auf alle älteren Menschen bezieht und in der solche Angebote enthalten seien.

Nach § 7 Alten-und Pflegegesetz NRW müssen die Kreise und Kreisfreien Städte eine örtliche Planung vornehmen und die Ergebnisse alle zwei Jahre auch im Internet veröffentlichen. Im Wortlaut:
(1) Die Planung der Kreise und kreisfreien Städte umfasst
1. die Bestandsaufnahme der Angebote,
2. die Feststellung, ob qualitativ und quantitativ ausreichend Angebote zur Verfügung stehen und
3. die Klärung der Frage, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen zur Herstellung, Sicherung oder Weiterentwicklung von Angeboten erforderlich sind.
Sie umfasst insbesondere komplementäre Hilfen, Wohn- und Pflegeformen sowie zielgruppenspezifische Angebotsformen wie persönliche Assistenz und die Weiterentwicklung der örtlichen Infrastruktur. Die Planung hat übergreifende Aspekte der Teilhabe einer altengerechten Quartiersentwicklung zur Sicherung eines würdevollen, inklusiven und selbstbestimmten Lebens, bürgerschaftliches Engagement.
……
(4) Die Kreise und kreisfreien Städte stellen die Ergebnisse der örtlichen Planung sowie die Umsetzung von Maßnahmen zum Stichtag 31. Dezember jedes zweite Jahr, beginnend mit dem Jahr 2015, zusammen.
(5) Sie haben die örtliche Planung nach Absatz 4 verständlich sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei zu veröffentlichen und darüber hinaus dem zuständigen Ministerium zur Verfügung zu stellen. Das für die Pflegeversicherung zuständige Ministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung konkrete Vorgaben, insbesondere zu Aufbau und Mindestinhalten der Planungsprozesse, festzulegen.
……..

Um zu sehen, wie weit diese Pläne auch Bedarfe und Angebote zur Digitalen Teilhabe beinhalten, habe ich mit verschiedenen Suchmaschinen (Google, Bing und Yahoo) mit dem Suchbegriff „Örtliche Planung § 7 APG NRW“ nach diesen Plänen gesucht. Konkret wollte ich prüfen, ob

2 Die Stichprobe

Diese Suche hat bei Google zu 19.700 und bei Yahoo zu 17.300 angezeigten Suchergebnissen geführt. Bei Bing wird keine Gesamtzahl angegeben. Überwiegend handelt es sich um Links zu der gesetzlichen Grundlage. Die Reihenfolge der Links zu den Plänen selbst variiert stark bei den drei Suchmaschinen, viele Pläne kommen mehrfach für denselben Zeitraum und auch für zurückliegende Zeiträume vor. Teilweise führen die Links zu den Dokumenten, teilweise zu Protokollen von Gremiensitzungen, in denen ein Plan beschlossen oder zur Kenntnis genommen wurde. Nach jeweils acht bis neun Seiten wurden keine weiteren Pläne gefunden. Nach zwölf Seiten bzw. 100 Suchergebnissen wurde die Suche daher beendet. Für Kreise, für die nur Pläne aus der Zeit vor 2020 gefunden wurden, wurde zusätzlich mit dem Namen des Kreises gezielt gesucht. So ist eine Liste mit 34 Plänen zusammengekommen. Für sechs Kreise bzw. Städte wurden nur Pläne aus der Zeit vor 2020 gefunden, die für die hier gestellten Fragen keine Aussagekraft haben: Bonn zuletzt 2019, Düsseldorf 2019, Dortmund 2015, Höxter 2017, Minden-Lübbecke 2015 und Mönchengladbach zuletzt 2015. Die folgende Inhaltsanalyse bezieht sich somit auf 28 Örtliche Planungen für Zeiträume in der Spanne 2020 bis 2026 (Tabelle 1). Die Stichprobe zeigt als Nebenergebnis, dass kein Kreis und keine Kreisfreie Stadt für den Zeitraum seit Bestehen der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht die Pläne kontinuierlich fortgeschrieben hat oder zumindest nicht regelmäßig veröffentlicht hat. Vielmehr bestehen auf den entsprechenden Seiten der Verwaltungen stets größere Lücken.

Es ist durchaus möglich, dass es noch weitere Örtliche Pläne im Internet gibt. Daher handelt es sich nur um eine Stichprobe, allerdings mit einer sehr hohen Repräsentativität, die verlässliche Aussagen über die Umsetzung des § 7 APG NRW zulässt.

Tabelle 1 in der Anlage gibt die Vielfalt der Bezeichnungen wieder und dient gleichzeitig als Quellennachweis mit den Links zu den nachfolgend analysierten Dokumenten.

3 Erweiterung der Fragestellung und Quantitative Inhaltsanalyse

Ursprünglich wollte ich nur herausfinden, ob und wie weit in diesen Plänen die Förderung digitaler Teilhabe mit Angeboten zum Zugang, zur Förderung der Vermittlung digitaler Kompetenzen und ggfs. mit weiterer Unterstützung Gegenstand von Bestands- und Bedarfsermittlungen und geplanten Maßnahmen nach dem APG NRW ist. Nach der Durchsicht der ersten Ergebnisse der Örtlichen Planungen hat sich jedoch gezeigt, dass bei der Bestandsaufnahme, den ermittelten Bedarfen und Planungen zur ambulanten und stationären Pflege deren Digitalisierung so gut wie gar nicht vorkommt. Das gilt für alle Anwendungen, in denen die Kommission für den Achten Altersbericht große Chancen in den Bereichen Gesundheit und Pflege erkennt. Dazu gehören Digitale Gesundheits-und Pflegeanwendungen, Telemedizin, die WLAN-Ausstattung von Heimen, Altersgerechte Assistenzsysteme und Smart Home und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Qualifizierung der verschiedenen Fachkräfte und zu Pflegenden. Für die Recherche habe ich daher die gefundenen Pläne auch daraufhin geprüft, ob die Worte „digitale Kompetenzen“, „Telemedizin“, „WLAN“ „Internet“ und „Smart Home“ oder der Wortstamms „digital“ mit beliebigen Endungen vorkommen.

Dazu wurden die Dokumente als pdf heruntergeladen und lokal mit der Suchfunktion von adobe nach diesen Worten durchsucht. Dabei wurde zunächst die angegebene Anzahl von Treffern übernommen. Bei Betrachtung dieser Treffer hat sich gezeigt, dass zum Beispiel ein Wort in einer Überschrift und im folgenden Text vorkommt und zwei Mal gezählt wird, das Wort „Internet“ im Zusammenhang mit einer Maßnahme und auch im Impressum gefunden wurde und „Altenhilfe“ auch im Namen von Einrichtungen und in Literaturquellen genannt wurde. Weil diese Stellen nicht auf Aktivitäten, Bedarfe oder Planungen verweisen, wurden sie in einer bereinigten Zählung abgezogen. In Tabelle 2 sind die Gesamttreffer in Klammern angegeben und in einer Fußnote der Grund für einen Abzug. Die nicht eingeklammerten Trefferzahlen beziehen sich auf Fundstellen, in denen das jeweilige Wort in einer allgemeinen Beschreibung eines Sachverhalts, eines Problems oder Bedarfs, bestehender oder geplanter örtlicher Angebote oder zukunftsbezogener Überlegungen vorkommt.

Tabelle mit Angaben zur Häufigkeit der Begriffe Altenhilfe, Internet, Smart Home u.a. in 28 örtlichen Plänen nach § 7 APG NRW Teil 2 der Tabelle mit Angaben zur Häufigkeit der Begriffe Altenhilfe, Internet, Smart Home u.a. in 28 örtlichen Plänen nach § 7 APG NRW

Eine Kommentierung dieser Zahlen findet sich in der Anlage.

4 Qualitative Betrachtung mit Beispielen

Dass ein Wort in einem Plan vorkommt, bedeutet noch nicht, dass das damit Bezeichnete Gegenstand eines ermittelten Bedarfs, eines Angebots oder einer Maßnahme ist und dazu Daten erhoben wurden, Lücken festgestellt und Maßnahmen geplant wurden, wie es das APG vorsieht. Um festzustellen, inwieweit dies jeweils der Fall ist, wäre eine qualitative Inhaltsanalyse der 28 Dokumente erforderlich, die hier nicht geleistet werden kann. An Beispielen wird in dem Bericht in der Anlage jedoch gezeigt, dass die wenigsten der in Tabelle 2 ausgewiesenen Nennungen in einem solchen Planungszusammenhang stehen.

5 Fazit und Empfehlungen

Aufgrund der quantitativen Inhaltsanalyse und der ausgewählten Beispiele in 28 veröffentlichten Örtlichen Planungen nach dem APG NRW kann man feststellen, dass die digitalen Möglichkeiten zur Unterstützung von Pflegenden, Angehörigen und Gepflegten nur in wenigen Fällen überhaupt angesprochen und in keinem einzigen Fall im Sinne der Vorgaben zur Planung behandelt werden. Es ist schwer vorstellbar, dass Anwendungen der Telemedizin, Smart Home und die Verpflichtung zur WLAN-Ausstattung allen an der Planung Beteiligten nicht bekannt sind. Dies ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil die Planung in einer „Kommunalen Konferenz Alter und Pflege" zu erörtern ist, in der alle Stakeholder für die Altenarbeit und Pflege zusammenkommen sollen. Der Zeitpunkt der Planung kann kein Grund für die Nichterwähnung sein, weil Telemedizin und Smart Home sowohl in den Planungen für 2020 bis2022 als auch in den neueren Planungen für 2024 bis 2026 fehlen. Vielmehr ist anzunehmen, dass die geringe Erwähnung und fehlende Auseinandersetzung mit neuen digitalen Anwendungen in der ambulanten und stationären Pflege zwar teilweise doch noch auf mangende Kenntnis, vor allem aber auf Unsicherheiten in der Beurteilung zurückzuführen sind .

Eine Umfrage in Hessischen Pflegediensten und -einrichtungen hat 22021 folgende Barrieren für die Einführung digitaler Hilfsmittel genannt:

  • vor allem hohe Kosten (73%),
  • mangelnde Akzeptanz bei Pflegekräften(45%) und Pflegebedürftigen (40%).
  • unzureichende technische Lösungen (42%) bzw. mangelnde Kompatibilität (38%).
  • Lediglich bei Sicherheitssystemen und Servicerobotern sehen 19% bzw. 16% Einsparpotenzial an Arbeitskräften.
  • Nur 13% meinen, dass neue Technik den Fachkräftemangel lösen kann.
  • Um die Ziele des Gesetzes zu erreichen, kann die Konsequenz kann daher nur Aufklärung und Information sein. Das zuständige Ministerium sollte allen verpflichteten Stellen eine Arbeitshilfe zur Verfügung stellen, in der grundsätzlich in Frage kommende digitale Anwendungen beschrieben und fachlich auf ihre Eignung hin bewertet werden, einschließlich der Anerkennung im Rahmen der Investitionsförderung.

    Zurück zum Ausgangspunkt der Analyse: Die Behauptung des Vertreters des Ministeriums auf der Frühjahrsakademie, dass es aufgrund des APG keine Notwendigkeit gebe, die Vorschriften zur kommunalen Altenhilfe um Angebote zur Überwindung der Schwierigkeiten älterer Menschen mit der Digitalisierung und dem Internet zu erweitern, hat sich nicht bestätigt. Daher gilt meine in der Präsentation gestellte Frage nach einem Erweiterungsbedarf der kommunalen Altenhilfe nach wie vor auch für Nordrhein-Westfalen.

    Den ausführlichen Bericht finden Sie hier.

    Weitere Infos: Örtliche Planung § 7 AOPG NRW Kurzrecherche.pdf

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